BGH, Urteil v. 20.2.2018 – VI ZR 30/17
Mit Urteil v. 20.2.2018 (Az. VI ZR 30/17) hat der BGH entschieden, dass das Bewertungsportal jameda.de (im Folgenden: P) das Profil einer Hautärztin löschen müsse.
Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Klägerin (K), eine niedergelassene Dermatologin und Allergologin, im Portal als Nichtzahlerin gegen ihren Willen ohne Bild mit ihrem akademischen Grad, ihrem Namen, ihrer Fachrichtung und ihrer Praxisanschrift geführt wurde. Bei Abruf ihres Profils auf dem Portal erschienen unter der Rubrik „Hautärzte (Dermatologen) in der Umgebung“ weitere (zahlende) Ärzte mit demselben Fachbereich und mit einer Praxis in der Umgebung der Praxis der K. Dargestellt wurde neben der Note des jeweiligen anderen Arztes die jeweilige Distanz zwischen dessen Praxis und der Praxis der K. Diese verlangte von P u.a. die vollständige Löschung ihres Eintrags im Portal und die Löschung ihrer veröffentlichten Daten. Während das Landgericht Köln die Klage abgewiesen hatte und auch die Berufung der K vor dem OLG Köln erfolglos geblieben war, verfolgte K ihr Begehren mit der Revision vor dem BGH weiter. Die Revision hatte Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass die Speicherung der personenbezogenen Daten der K unzulässig sei, sodass diese nach § 35 II S. 2 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zu löschen seien. Ob das Urteil überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.
Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Grundrechte, 22. Aufl. 2017, Rn. 24 erläutert, ist seit Langem anerkannt, dass die Grundrechte ihre Geltung nicht nur im Verhältnis Bürger/Staat entfalten, sondern auch im Privatrecht. Insofern sind die Grundrechte nicht nur „vertikal“ Abwehr-(und Leistungs-)rechte des Bürgers gegen Eingriffe des Staates, sondern zugleich Ausdruck einer hinter den Abwehr-(und Leistungs-)rechten stehenden objektiven Wertordnung, die mittelbar (und „horizontal“) auch das Verhältnis zwischen Privaten beeinflusst. Sie gelten für alle Bereiche des Rechts als Richtlinie und Impuls und damit auch mittelbar im Verhältnis der Bürger untereinander (allgemeine Ansicht, vgl. etwa BGH NJW 2015, 489, 491; BGH 20.2.2018 – VI ZR 30/17 – jeweils jameda.de; vgl. auch BVerfG NJW 2015, 2485 f. Grundlegend BVerfGE 7, 198, 203 ff. – Lüth). Dieser Effekt wird als „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ bezeichnet: Die Grundrechte gelten mittelbar auch im Verhältnis zwischen Privaten und sind rechtstechnisch bei der Auslegung von auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen zu berücksichtigen. Dabei gilt es, die kollidierenden Grundrechte i.S. einer praktischen Konkordanz (Begriff nach Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 317 ff.; später verwendet bspw. auch von BVerfGE 89, 214, 232; 129, 78, 101 f.; 134, 204, 223; BVerfG NJW 2016, 2247, 2250) gegeneinander abzuwägen. Man stelle sich nur den Fall vor, dass ein früheres Mitglied des Exekutivkomitees der FIFA die Qatar Football Association öffentlich als „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ bezeichnet (LG Düsseldorf 19.4.2016 – 6 O 226/15). Hier ist offenkundig, dass widerstreitende Interessen (Meinungsäußerungsfreiheit des Äußernden sowie Informationsinteresse der Bevölkerung auf der einen Seite; allgemeines Persönlichkeitsrecht der betroffenen Vereinigung auf der anderen Seite) gegeneinander abgewogen werden müssen. Ähnliches gilt für den Fall, dass ein Tierschutzverein auf seiner Internetseite ein Kreditinstitut auffordert, das Konto eines Interessenverbands der Tierzüchter zu kündigen, da dieser das tierquälerische Verhalten von Pelztierzüchtern („Nerzquälern“) unterstütze (BGH NJW 2016, 1584 f.). Auch hier müssen widerstreitende Interessen (Meinungsäußerungsfreiheit des Tierschutzvereins auf der einen Seite; allgemeines Persönlichkeitsrecht und Berufsfreiheit der betroffenen Pelztierzüchter auf der anderen Seite) gegeneinander abgewogen werden (BGH NJW 2016, 1584, 1585). Nichts anderes gilt für den Fall, dass einer (ehemaligen) Richterin von einer Journalistin öffentlich „obskure Beziehungen zur Verbrecherwelt“ nachgesagt werden. Auch hier sind widerstreitende Interessen (Pressefreiheit der Journalistin sowie Informationsinteresse der Bevölkerung auf der einen Seite; allgemeines Persönlichkeitsrecht der betroffenen Richterin auf der anderen Seite) gegeneinander abzuwägen (vgl. den Fall EGMR NJW 2016, 1373, 1374). Von nicht minder großer Grundrechtsrelevanz sind Bewertungen auf sog. Bewertungsportalen im Internet, die im Fokus dieses Beitrags stehen.
Ausgangspunkt derartiger Streitfälle ist oft ein Zivilprozess, bei dem sich die von der fraglichen Behauptung oder Darstellung betroffene Person um Unterlassung, Widerruf und/oder Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. der Berufs- und/oder Eigentumsfreiheit bemüht (vgl. etwa BGH MDR 2017, 879, 880 – Berichterstattung über Liebesbeziehung). Auch im Rahmen eines Strafverfahrens – Anklage wegen Beleidigung – ist eine entsprechende Prüfung der Grundrechtskollision erforderlich (vgl. BVerfG NJW 2016, 2643 f. – „ACAB“ nicht ohne weiteres Beleidigung; BVerfG NJW 2016, 2870 f. – Bezeichnung einer Staatsanwältin als „widerwärtig, boshaft, dümmlich und geisteskrank“). Zwar kann der Klagegegner als Privatperson unmittelbar keine Grundrechte verletzen, weil Private nicht Grundrechts-adressaten sind, jedoch kann eine Privatperson gegen einfachgesetzliche Bestimmungen verstoßen, die auch und gerade dem Grundrechtsschutz zu dienen bestimmt sind. Das Gericht, das über diesen Rechtsverstoß zu entscheiden hat, muss dann im Rahmen der Auslegung der streitentscheidenden einfachgesetzlichen Normen i.d.R. eine Abwägung zwischen den Grundrechten des Klägers einerseits und den Grundrechten des Beklagten andererseits vornehmen. Sofern kein Vergleich geschlossen, sondern vom Gericht ein Urteil gesprochen wird, ergeht dieses zu Lasten mindestens einer Prozesspartei und greift damit in Grundrechte ein. Dieses zivilgerichtliche Urteil ist es dann, das als staatlicher Akt in Grundrechte eingreift und wegen (möglicher) Verletzung von Grundrechten nach Erschöpfung des Rechtswegs vor dem BVerfG im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Das BVerfG prüft sodann, ob das Fachgericht bei der Anwendung und Auslegung des Privatrechts die Bedeutung eines der widerstreitenden Grundrechte verkannt, ob es also spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat; es überprüft, ob das Fachgericht eine rechtsfehlerfreie Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechtsgütern vorgenommen hat. (vgl. BVerfG NJW 2016, 3360, 3361; BVerfG NJW 2016, 3362 f.; BVerfG NJW 2015, 1506, 1507 ff.; BVerfG NJW 2014, 764, 765; BVerfG NJW 2012, 3712, 3713; BVerfG NJW 2012, 1500, 1501 f.; BVerfG NJW 2012, 756 f. – allesamt zurückgehend auf BVerfGE 7, 198, 206 ff. – Lüth). Diese Abwägung ist nach der hier vertretenen Auffassung folgendermaßen vorzunehmen: Zunächst ist eine abstrakte, d.h. eine vom zu entscheidenden Fall unabhängige Bewertung der widerstreitenden Rechtsgüter vorzunehmen. Ist z.B. das eine Grundrecht einfacher einzuschränken als das andere (Beispiel: Art. 5 I GG gegenüber Art. 4 I GG), besitzt es bei der Abwägung grundsätzlich ein geringeres Gewicht. Entscheidend ist aber letztlich der konkrete Einzelfall. Es ist zu untersuchen, bei welchem Grundrecht der Eingriff schwerer wiegt. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Peripherie und Kernbereich nützlich: Ist bei dem – abstrakt gesehen – „höherwertigen“ Grundrecht lediglich der Randbereich betroffen, bei dem – abstrakt gesehen – „geringerwertigen“ Grundrecht dagegen in den Kernbereich eingegriffen worden, ist es i.d.R. nicht zu beanstanden, wenn die konkrete Bewertung für den Vorrang des an sich „geringerwertigen“ Grundrechts ausfällt. Im Übrigen sollten folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Grundsätze (freilich unter Beachtung der soeben genannten abstrakten Prinzipien) genügend Hilfestellung für die Bewältigung von Rechtsfällen bieten:
Eine Regelvermutung für den Vorrang eines der widerstreitenden Rechtsgüter besteht nicht (so ausdrücklich nunmehr – aufgrund des Einflusses der Rspr. des EGMR – auch BVerfG NJW 2013, 217, 218; BVerfG NJW 2012, 1500, 1501). Als grobe Richtschnur gilt aber, dass bei Werturteilen die Meinungsäußerungsfreiheit nur dann hinter den allgemeinen Persönlichkeitsschutz zurücktritt, wenn die Äußerung einen Angriff auf den Menschenwürdegehalt darstellt (vgl. BVerfGE 99, 185, 196 f.; 93, 266, 294; 75, 369, 380), von ihr eine Prangerwirkung ausgeht (BVerfG NJW-RR 2008, 200) oder mit ihr eine schwerwiegende Persönlichkeitsbeeinträchtigung verbunden ist. Bei einer von Art. 5 III S. 1 Var. 1 GG geschützten (politischen) Satire oder bei öffentlich geführtem Meinungskampf (etwa in einem Internetforum) unter Beteiligung des Betroffenen ist das BVerfG bei der Annahme einer Prangerwirkung bzw. Persönlichkeitsverletzung indes sehr zurückhaltend. Wer sich der Öffentlichkeit präsentiere, müsse eher scharfe und unsachliche Kritik hinnehmen als jemand, der sich nicht der Öffentlichkeit aussetze (vgl. BVerfG NJW 2012, 3712, 3713 – Bezeichnung eines Rechtsanwalts als „rechtsextrem“; BVerfG NJW 2002, 3767 f.). Auch wenn der Äußernde keine eigennützigen bzw. wirtschaftlichen Ziele verfolgt, sondern die Aussage im Rahmen eines gesellschaftlichen Anliegens (etwa Verbraucherschutz; Umweltschutz) vorgenommen oder mit ihr einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet hat (vgl. BVerfG NVwZ 2016, 761, 762 f. – Kachelmann), nehmen das BVerfG und der BGH einen grundsätzlichen Vorrang der Meinungsäußerung gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. der Berufsausübungsfreiheit an (BVerfG NVwZ 2016, 761, 762 f. – Kachelmann; BVerfG NJW-RR 2008, 200 – Junge Union vs. Scientology; BVerfGE 7, 198, 212 – Lüth) 93, 266, 294 – „Soldaten sind Mörder“; BGH NJW 2017, 2029, 2030 ff. – klinikbewertungen.de; BGH NJW 2008, 2110, 2111 – „Gen-Milch“).
Die in einem Internetforum (z.B. www.spickmich.de oder www.meinprof.de) von Schülern bzw. Studenten (anonym oder pseudonym) abgegebenen Bewertungen hinsichtlich ihrer Lehrer bzw. Professoren stellen auf Eigenschaften der Lehrer bzw. Professoren ab, die sich jedenfalls auch im schulischen bzw. universitären Wirkungskreis spiegeln, und sind nach der Rspr. grds. von Art. 5 I GG gedeckt (vgl. OLG Köln ZUM 2008, 869, 870 ff.). Zivilrechtliche Unterlassungs- bzw. Widerrufsklagen gem. §§ 823, 1004 BGB sind grds. unbegründet. Lediglich, wenn die Aussagen eine Schmähung oder eine Anprangerung darstellen oder den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung (d.h. die Intim- oder Vertraulichkeitssphäre – zu den Sphären vgl. R. Schmidt, Grundrechte, 22. Aufl. 2017, Rn. 279) betreffen, ist eine Verbreitung unzulässig und eine Klage wäre begründet (vgl. dazu auch OLG Dresden K&R 2015, 412, 413 ff.; BGH NJW 2012, 2345 f.; BGH NJW 2012, 148). Dasselbe muss man annehmen für den Fall, dass negative Bewertungen nur deshalb abgegeben werden, um sich am Lehrer wegen schlechter Notenvergabe zu rächen, oder aus allgemeinem Frust heraus.
Die gleichen Maßstäbe gelten auch bei Rechtsanwalts- bzw. Arzt- oder Klinikbewertungen auf Internetbewertungsportalen. Der BGH hat (hinsichtlich Arztbewertungen) entschieden, dass diese in aller Regel lediglich die Sozialsphäre betreffen. Im Bereich der Sozialsphäre müsse sich der Einzelne wegen der Wirkungen, die seine Tätigkeit hier für andere habe, von vornherein auf die Beobachtung seines Verhaltens durch eine breite Öffentlichkeit und auch auf Kritik an seinen Leistungen einstellen (BGH NJW 2015, 489, 493; vgl. auch AG München 11.8.2015 – 161 C 7001/15). Dass Bewertungen zudem anonym (ergänze: oder pseudonym) abgegeben werden können, ändere nichts an dem grundsätzlichen Vorrang der Meinungsäußerungsfreiheit. Denn die Möglichkeit zur anonymen Nutzung sei (wegen § 13 VI S. 1 Telemediengesetz - TMG) dem Internet immanent (BGH NJW 2015, 489, 493 – jameda.de I). Letztlich ist diese Argumentation rechtsmethodisch angreifbar. Zwar ist es richtig, dass § 13 VI S. 1 TMG grds. das Recht auf Anonymität der Internetnutzer gewährt, bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten ist aber verfassungsrechtlich zu argumentieren. Hinzu kommt, dass die (anonym oder pseudonym abgegebene) Bewertung praktisch dauerhaft im Internet verbleibt, was bei der verfassungsrechtlichen Abwägung ebenfalls mit einfließen muss. Immerhin sieht der BGH in einem späteren Urteil durchaus die Missbrauchsgefahr, die mit der Möglichkeit der anonymen oder pseudonymen Bewertung verbunden ist (BGH NJW 2016, 2106, 2107 f. – Prüfungsaufwand des Providers bei Ärztebewertungen).
Fall (vgl. BGH NJW 2015, 489 ff. – jameda.de I; BGH 20.2.2018 – VI ZR 30/17 – jameda.de II): Bei P handelt es sich um einen Betreiber eines Internetportals, der u.a. Informationen zu Gesundheitsthemen vermittelt und Ärztinnen und Ärzte auch gegen ihren Willen zumindest mit den Basisdaten (akademischer Grad, Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, weitere Kontaktdaten sowie Sprechzeiten und ähnliche praxisbezogene Informationen), soweit diese ihm bekannt sind, im Internetportal darstellt. Daneben sind im Portal Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas, aber auch von Freitextkommentaren, abgegeben haben. Ärztinnen und Ärzten bietet P zudem die Möglichkeit, sich zu registrieren und einen kostenpflichtigen „Premiumservice“ zu buchen. Dabei handelt es sich um einen Service, bei dem das Profil – anders als das Basisprofil der nichtzahlenden Ärztinnen und Ärzte – mit einem Foto und zusätzlichen Informationen versehen wird. Weiterhin können Ärztinnen und Ärzte, die den „Premiumservice“ gebucht haben, Werbebanner schalten, die dann auch auf den Profilen nichtzahlender Ärztinnen und Ärzte erscheinen. Dementsprechend werden beim Aufruf des Profils eines nichtzahlenden Arztes als „Anzeige“ gekennzeichnet die Profilbilder unmittelbarer Konkurrenten gleicher Fachrichtung im örtlichen Umfeld mit Entfernungsangaben und Noten eingeblendet. In weiterer Folge dieses Geschäftsmodells blendet P bei Ärztinnen und Ärzten, die sich bei ihr kostenpflichtig registriert und den „Premiumservice“ gebucht haben, keine Konkurrenten auf deren Profil ein.
Variante 1 (BGH NJW 2015, 489 ff. – jameda.de I): Arzt Dr. A wurde in das Arztbewertungsportal von P aufgenommen und dort von medizinischen Laien negativ bewertet. Nachdem A davon erfahren hat, begehrt er von P die Löschung der betreffenden Bewertungen.
Lösung: Ein Anspruch auf Löschung könnte sich aus § 35 II S. 2 Nr. 1 BDSG (vgl. ab dem 25.5.2018: Art. 17 I d) Datenschutz-Grundverordnung –DSGVO) ergeben. Nach Art. 17 I d) DSGVO sind personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn ihre Verarbeitung unrechtmäßig war. Zulässig und damit rechtmäßig ist die Speicherung von Daten gem. § 29 I S. 1 Nr. 1 BSDG (vgl. ab dem 25.5.2018: Art. 6 I S. 1 f) DSGVO) aber, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung der Daten hat (bzw. nach Art. 6 I S. 1 f) DSGVO, wenn nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen). Das Überwiegen des Schutzes personenbezogener Daten wiederum ergibt sich aus einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, vorliegend zunächst zwischen dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG auf Seiten des A und dem Kommunikationsgrundrecht aus Art. 5 I S. 1 GG (hier: Meinungs- und Medienfreiheit) auf Seiten des P und der Meinungsäußerungsfreiheit auf Seiten der Bewerter. Art. 12 I GG kommt sowohl A als auch P zugute.
Nach Auffassung des BGH überwiegen die Interessen des P und der Bewerter. Die Wirkungen von veröffentlichten Bewertungen seien der Sozialsphäre zugeordnet und im Bereich dieser Sphäre müsse der Bewertete Kritik an seinen Leistungen hinnehmen, solange – wie im vorliegenden Fall – mit den Bewertungen keine stigmatisierenden Wirkungen, sozialen Ausgrenzungen oder Prangerwirkungen verbunden seien (BGH NJW 2015, 489, 493. In diese Richtung geht auch OVG Münster K&R 2018, 140 zu einem Fahrerbewertungsportal im Internet.).
Bewertung: Es ist absolute Tendenz in der Rechtsprechung, dass die Meinungsäußerungsfreiheit (auch, wenn sie anonym oder pseudonym im Internet ausgeübt wird) den Vorrang vor den Interessen des Betroffenen genießt, sofern nur dessen Öffentlichkeits- oder Sozialsphäre bzw. der Randbereich des Persönlichkeitsrechts betroffen sei. Lediglich bei Vorliegen von Schmähkritik, Beleidigung oder Anprangerung gelte etwas anderes. Dem ist mit Blick auf die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für eine Demokratie insoweit zuzustimmen. Auf die interessante Frage, ob aufgrund des Umstands, dass das Internet „nichts vergisst“ und die gegenüber A abgegebenen Bewertungen diesen ggf. daher „sein Leben lang begleiten“, ein anderer Blick auf die Zumutbarkeit der Duldung zu werfen sein könnte, geht der BGH nicht ein. Im BGH-Urteil keine genügende Erwähnung findet auch die große Missbrauchsgefahr. So wurde von Ärzten berichtet, Kunden hätten „gedroht“, sie im Internet „fertigzumachen“, wenn sie nicht die gewünschte Krankschreibung ausstellten oder das gewünschte Medikament verschrieben. Ähnliches Kundenverhalten wurde hinsichtlich Restaurantbewertungen oder Hotelbewertungen gemeldet. Man habe mit schlechter Bewertung gedroht, falls man keinen Rabatt erhalte oder die Kinder nicht kostenlos speisen dürften. Insgesamt steckt also ein hohes Spannungspotential in Internetbewertungsportalen. Immerhin sieht – wie erwähnt – auch der BGH in einem späteren Urteil durchaus die Missbrauchsgefahr, die mit der Möglichkeit der anonymen oder pseudonymen Bewertung verbunden ist (BGH NJW 2016, 2106, 2107 f. – Prüfungsaufwand des Providers bei Ärztebewertungen). Das am 1.10.2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz kann jedenfalls keine Abhilfe schaffen oder nicht zumindest für Eindämmung sorgen, weil Bewertungsportale zur Verbreitung lediglich spezifischer Inhalte bestimmt sind, was wiederum gem. § 1 I S. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen ist. Immerhin bestehen Auskunftsansprüche gegen den Betreiber gem. § 14 III, IV TMG, um zivilrechtlich gegen den Bewerter vorgehen zu können. Auch kommen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gem. § 1004 I BGB analog (sowohl gegen Portalbetreiber als auch gegen Bewerter) in Betracht.
Variante 2 (nach BGH 20.2.2018 – VI ZR 30/17 – jameda.de II): Auch die Dermatologin Dr. B wurde gegen ihren Willen in das Arztbewertungsportal von P aufgenommen. Entsprechend dem „Basiseintrag“ für Nichtzahler erscheinen bei Abruf ihres Profils unter der Rubrik „Hautärzte (Dermatologen) in der Umgebung“ weitere Ärztinnen und Ärzte mit demselben Fachbereich und mit einer Praxis in der Umgebung der Praxis der B. Dargestellt wird neben der Note des jeweiligen anderen Arztes die jeweilige Distanz zwischen dessen Praxis und der Praxis der B. Diese verlangt nunmehr von P die vollständige Löschung ihres Eintrags und ihrer auf der Internetseite von P veröffentlichten Daten. P hält dem entgegen, dass nur „vollständige Arztlisten“ dem Recht der Patienten auf freie Arztwahl gerecht würden. Außerdem sei die Werbung der Premiumkunden klar als solche erkennbar.
Lösung: Wie bei der Variante 1 könnte sich ein Anspruch auf Löschung aus § 35 II S. 2 Nr. 1 BDSG (vgl. ab dem 25.5.2018: Art. 17 I d) DSGVO) ergeben. Nach Art. 17 I d) DSGVO sind personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn ihre Verarbeitung unrechtmäßig war. Aber auch wie bei der Variante 1 ist die Speicherung von Daten gem. § 29 I S. 1 Nr. 1 BSDG (vgl. ab dem 25.5.2018: Art. 6 I S. 1 f) DSGVO) zulässig, wenn kein Grund zu der Annahme besteht, dass der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Erhebung, Speicherung oder Veränderung der Daten hat (bzw. nach Art. 6 I S. 1 f) DSGVO, wenn nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen). Das Überwiegen des Schutzes personenbezogener Daten wiederum ergibt sich aus einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, vorliegend zwischen dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG auf Seiten der B und dem Kommunikationsgrundrecht aus Art. 5 I S. 1 GG auf Seiten des Portalbetreibers und der Bewerter. Art. 12 I GG kommt wiederum sowohl B als auch dem Portalbetreiber zugute.
Nach Auffassung des BGH überwiegen die Interessen der B. Denn P sei nicht lediglich als „neutraler Mittler“ von Kommunikations- und/oder Informationsinhalten aufgetreten. Vielmehr habe P Kommunikation und Information „gelenkt“, indem er bei nichtzahlenden Ärztinnen und Ärzten dem ein Arztprofil aufsuchenden Internetnutzer die „Basisdaten“ nebst Bewertung des betreffenden Arztes angezeigt und ihm mittels eines eingeblendeten Querbalkens Informationen zu örtlich konkurrierenden Ärzten angeboten habe. Auf Profilen von „Premiumkunden“ habe er indes – ohne dies dort den Internetnutzern hinreichend offenzulegen – solche über die örtliche Konkurrenz unterrichtenden werbenden Hinweise nicht zugelassen. In diesem Fall sei P nicht mehr lediglich „neutraler“ Kommunikations- und Informationsmittler und könne sich daher auf das ihm zustehende Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 I S. 1 GG, Art. 10 I EMRK) auch nur mit geringerem Gewicht stützen. In einem solchen Fall überwiege der im Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, Art. 8 I EMRK) verankerte Schutz der personenbezogenen Daten der B. Das führe hier zu einem Überwiegen der Grundrechtsposition der B, sodass ihr ein „schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Speicherung“ ihrer Daten gem. § 29 I S. 1 Nr. 1 BSDG (vgl. ab dem 25.5.2018: Art. 6 I S. 1 f) DSGVO) zuzubilligen sei. Das Profil der B sei daher zu löschen.
Bewertung: Dem Urteil des BGH ist zuzustimmen. Mit der Möglichkeit, dass zahlende „Premiumkunden“ Werbebanner schalten können, die auf den Profilen nichtzahlender Konkurrenten erscheinen, findet eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung statt, die nicht mehr von der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 I S. 1 GG, Art. 10 I EMRK) gedeckt ist. Zudem ist P nicht „Sachwalter“ des Rechts der Patientinnen und Patienten auf freie Arztwahl. Dieses Recht steht Patientinnen und Patienten im Verhältnis zur Krankenversicherung und Praxis bzw. Klinik zu. Dessen Sicherung ist nicht Aufgabe von P. Insofern gibt es am Urteil des BGH nichts auszusetzen. Zu kurz kommt aber eine Auseinandersetzung mit Art. 12 I GG. Denn kann sich P mit dem Argument, dass er nicht mehr lediglich „neutraler“ Kommunikations- und Informationsmittler sei, nur noch mit geringerem Gewicht auf das ihm zustehende Grundrecht der Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 I S. 1 GG, Art. 10 I EMRK) stützen, gerät Art. 12 I GG in den Vordergrund, auch wenn dieses Grundrecht bei einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Berufsfreiheit der B ebenfalls zurücktreten würde.
Weiterführender Hinweis: Wenn P es daraufhin unterlässt, Anzeigen der „Premiumkunden“ in den Profilen der nichtzahlenden Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen, und im Übrigen die Nutzer nunmehr transparent darüber aufklärt, ob es sich bei den Profilen jeweils um solche von „Premiumkunden“ (also von Vertragspartnern des P) oder von anderen Ärztinnen und Ärzten handelt, dürfte er (in Bezug auf andere Fälle) einer Löschungspflicht entgehen und so sein Geschäftsmodell, wenngleich modifiziert, erhalten. Denn der BGH hat das Geschäftsmodell von P nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern nur die Möglichkeit beanstandet, dass zahlende „Premiumkunden“ Werbebanner schalten können, die auf den Profilen nichtzahlender Konkurrenten erscheinen.
Zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das den Betreibern von sozialen Netzwerken bestimmte Prüf- und Löschungspflichten auferlegt und damit mittelbar auch die Meinungsäußerungsfreiheit betrifft, vgl. R. Schmidt, Grundrechte, 23. Aufl. 2018, Rn. 804 (erscheint demnächst).
R. Schmidt
(22.2.2018)