11.4.2018: Zulässigkeit der Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus "Bio-Hühnerställen"
BGH, Urteil v. 10.4.2018 – VI ZR 396/16
Mit Urteil v. 10.4.2018 hat der BGH (VI ZR 396/16) über die Zulässigkeit der Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus "Bio-Hühnerställen" entschieden. Ging es also im am 25.3.2018 vom Verfasser besprochenen Fall des OLG Naumburg um die Frage nach der Rechtfertigung eines Hausfriedensbruchs, den Tierschützer begangen hatten, um Missstände aufzudecken (siehe Aktuelles-Beitrag v. 25.3.2018), war Gegenstand der Entscheidung des BGH die Frage, ob die Verbreitung von (illegal hergestellten) Filmaufnahmen im Fernsehen zulässig ist oder ob dem das aus einer Gesamtschau aus Art. 14 I GG, 12 I GG und Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG hergeleitete Unternehmerpersönlichkeitsrecht bzw. das Recht auf Geheimhaltung unternehmensbezogener Umstände entgegensteht. Bezeichnenderweise geht der BGH offenbar davon aus, dass der Hausfriedensbruch nicht gerechtfertigt war.
Dem BGH-Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde (abgewandelt, um die Probleme des Falls zu fokussieren): K ist Betreiber eines ökologisch arbeitenden Betriebs, der Ackerbau und Hühnerhaltung betreibt. Eines Nachts drang T, der sich für den Tierschutz engagiert, in die Hühnerställe des K ein und fertigte dort Filmaufnahmen. Die Aufnahmen zeigen u.a. Hühner mit unvollständigem Federkleid und tote Hühner. T überließ die Aufnahmen dem Fernsehsender A, der sie exklusiv unter dem Titel "Wie billig kann Bio sein?" und später unter dem Titel "Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten" ausstrahlte. Die Beiträge befassen sich u.a. mit den Auswirkungen, die die Aufnahme von Bio-Erzeugnissen in das Sortiment der Supermärkte und Discounter zur Folge hat, und werfen die Frage auf, wie preisgünstig Bio-Erzeugnisse sein können.
Das Landgericht verurteilte A antragsgemäß, es zu unterlassen, im Einzelnen näher bezeichnete Bildaufnahmen zu verbreiten, die verpackte Waren, tote Hühner oder solche, die ein unvollständiges Federkleid haben, eine umzäunte Auslauffläche und die Innenaufnahme eines Hühnerstalls zeigen. Die von A eingelegte Berufung beim OLG hatte keinen Erfolg. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgte A ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Die Entscheidung des BGH: Der BGH hat der von A eingelegten Revision stattgegeben und die Klage des K abgewiesen. Die Verbreitung der Filmaufnahmen verletze weder das Unternehmerpersönlichkeitsrecht des K noch sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zwar seien die Filmaufnahmen - die eine Massentierhaltung dokumentieren und tote oder nur mit unvollständigem Federkleid versehene Hühner zeigen - geeignet, das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf des K in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Auch sei der BGH davon ausgegangen, dass die Ausstrahlung der nicht genehmigten Filmaufnahmen das Interesse des K berührt, ihre innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Diese Beeinträchtigungen seien aber nicht rechtswidrig. Das von A verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwögen das Interesse des K am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs und ihre unternehmensbezogenen Interessen. Dies gelte trotz des Umstands, dass die veröffentlichten Filmaufnahmen von T rechtswidrig hergestellt worden waren. A habe sich an dem von T begangenen Hausfriedensbruch nicht beteiligt. Mit den beanstandeten Aufnahmen wurden keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des K offenbart. Die Aufnahmen hätten vielmehr die Art der Hühnerhaltung dokumentiert. Die Öffentlichkeit habe grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an einer näheren Information über diese Umstände. Die Filmaufnahmen informierten den Zuschauer zutreffend. Sie transportierten keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern gäben die tatsächlichen Verhältnisse in den Ställen zutreffend wieder. Mit der Ausstrahlung der Filmaufnahmen habe A einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet. Die Filmberichterstattung setze sich unter den Gesichtspunkten der Verbraucherinformation und der Tierhaltung kritisch mit der Massenproduktion von Bio-Erzeugnissen auseinander und zeige die Diskrepanz auf zwischen den nach Vorstellung vieler Verbraucher gegebenen, von Erzeugern oder Erzeugerzusammenschlüssen wie dem von K herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards einerseits und den tatsächlichen Produktionsumständen andererseits. Es entspreche der Aufgabe der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.
Bewertung: Dem BGH ist - jedenfalls, was die Rechtmäßigkeit der Verbreitung betrifft - vollumfänglich zuzustimmen. Die genannten unternehmensbezogenen Grundrechte müssen bei einer (im Rahmen von § 1004 BGB vorzunehmenden) Abwägung mit dem widerstreitenden Informationsinteresse der Gesellschaft hinsichtlich Missstände auch und gerade in der ökologischen Tierhaltung sowie der Medien- bzw. Rundfunkfreiheit des A zurücktreten. Im Übrigen sei auf die Argumentation des BGH verwiesen. Ob der BGH zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn A sich an dem in den Augen des BGH rechtswidrigen Hausfriedensbruch beteiligt hätte, ist unklar. Wäre dies einerlei, hätte der BGH nicht angeführt, dass sich A an dem von T begangenen Hausfriedensbruch nicht beteiligt habe. Es steht zu befürchten, dass der BGH mitunter zur Unzulässigkeit der Verbreitung der Filmaufnahmen gelangt wäre, wenn A sich am Hausfriedensbruch beteiligt hätte.
Nicht zu folgen ist dem BGH indes hinsichtlich der von ihm angenommenen Rechtswidrigkeit des Hausfriedensbruchs. Wie bereits im Aktuelles-Beitrag v. 25.3.2018 aufgezeigt, hat das OLG Naumburg mit Urteil v. 22.2.2018 (Az. 2 Rv 157/17) zu Recht die Vorinstanzen bestätigt und entschieden, dass das Eindringen in Stallanlagen durch Tierschützer, die dort eklatante Verstöße gegen Tierschutzbestimmungen filmen wollten, um die Aufnahmen anschließend den Behörden vorzulegen sowie Strafanzeige zu stellen, zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 I StGB) verwirklicht habe, jedoch gerechtfertigt gewesen sei. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der BGH auch zu dieser Frage inhaltlich geäußert und eine inzidente Strafbarkeitsprüfung vorgenommen hätte (statt beiläufig in einem "obiter dictum" schlicht auf den "strafbaren Hausfriedensbruch" zu verweisen). Dann wäre die Frage nach dem Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands zugunsten von Tieren höchstrichterlich (wenn auch "nur" von einem Zivilsenat) geklärt worden, in der Hoffnung, dass der BGH (nicht im Eigentum des Notstandsübenden stehende) Tiere dann als notstandsfähig angesehen hätte. Leider ist nach diesem Urteil vom Gegenteil auszugehen. Immerhin gelangt der BGH trotz offensichtlicher Annahme eines strafbaren Verhaltens des T zur Rechtmäßigkeit der Verbreitung des A, obwohl man davon ausgehen muss, dass A über die Art und Weise der Beschaffung der Bildaufnahmen informiert war oder diese zumindest für ihn klar erkennbar war. Diese Annahme erinnert an die Frage nach der "Fernwirkung" von Beweisverboten, also an die Frage, inwieweit unter Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften gewonnene Beweisergebnisse im Strafprozess verwertet werden dürfen. Im Zivil(prozess)recht firmiert diese Problematik unter der Frage, ob aus einem Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot folgt. Sofern (wie in der vorliegenden Konstellation) kein gesetzliches Beweisverwertungsverbot besteht, entscheidet die Rechtsprechung unter Zugrundelegung der Abwägungstheorie. Geht es um eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts, unterscheidet sie bei der Frage nach der Verwertbarkeit gewonnener Beweismittel nach der betroffenen Persönlichkeitssphäre. Während bei Beeinträchtigungen der Intimsphäre regelmäßig keine Verwertbarkeit angenommen wird, sind Beweismittel, die bei einem Eindringen in die Privatsphäre gewonnen werden, unter strengen Voraussetzungen verwertbar. Beweise, die beim Eindringen lediglich in die Sozialsphäre (und erst in die Geschäftssphäre) erlangt wurden, unterliegen - wegen des Bezugs nach außen - weniger strengen Voraussetzungen (zur Sphärentheorie siehe R. Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 12. Aufl. 2018, Rn 666). Sollte man (mit dem Verfasser) der Sphärentheorie skeptisch gegenüberstehen (wegen der mitunter schwierigen Zuordnung zu einer Sphäre), kommt es primär darauf an, ob der Eingriff in den Kernbereich oder in den Randbereich erfolgt: Ist in den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen worden, folgt aus der Absolutheit des Schutzes die Rechtswidrigkeit des Eingriffs, wobei auch hier nicht zweifelsfrei beantwortet werden kann, welche Gegenstände den Kernbereich ausmachen. Ist aber lediglich in den Randbereich (also den relativen Bereich) eingegriffen worden, findet eine Abwägung statt. Geht es um eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Private, bedarf es regelmäßig einer praktischen Konkordanz zwischen den Grundrechten des Eingreifenden (insbesondere Art. 5 I und 5 III GG, aber auch Vermögensinteressen) und denen des Betroffenen (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) bzw. den Belangen der Allgemeinheit.
Auf welches Modell man auch abstellt, entscheidet bei der Frage nach der Verwertbarkeit vorliegend eine Abwägung (dazu R. Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 12. Aufl. 2018, Rn. 666 ff. mit Verweis auf die zahlreich ergangene Rechtsprechung). Diese hat der BGH zugunsten des Allgemeininteresses an der Aufklärung und an Information über Missstände sowie der Medien- und Rundfunkfreiheit des A vorgenommen.
Ausblick: Diese Entscheidung könnte Einfluss auf die Frage nach der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen haben. Denn gegen die Dashcam-Entscheidung des LG Magdeburg (5.5.2017 – 1 S 15/17) ist die Revision beim BGH anhängig, und zwar beim selben Senat, der den oben behandelten "Hühnerstall-Fall" entschieden hat (siehe Az. VI ZR 233/17). Im Gegensatz zum gleich zu besprechenden Fall des OLG Nürnberg verneinte das LG Magdeburg u.a. wegen der im konkreten Fall längeren Aufzeichnungsdauer die Verwertbarkeit der Dashcam-Aufzeichnungen. Beispielfall zur Dashcam-Aufzeichnung (nach OLG Nürnberg NJW 2017, 3597): Um ein mögliches Unfallgeschehen rekonstruieren und Beweis für einen etwaigen Unfallhergang erbringen zu können, hat F an der Frontscheibe seines Lkw eine sog. Dashcam („Frontscheibenkamera“) installiert. Diese ist so konfiguriert, dass die Aufnahmen automatisch wieder gelöscht werden, wenn nicht innerhalb von 30 Sekunden eine deutliche Erschütterung am Auto wahrgenommen wird. In diesem Fall wird das Aufzeichnungssegment aus dem Zwischenspeicher dauerhaft auf die eingesetzte SD-Karte gespeichert. Als es nun tatsächlich zu einem Unfall mit dem Pkw des T gekommen war, ließ sich aufgrund der Aufzeichnung nachvollziehen, dass T ein höchst gefährliches Fahrmanöver durchgeführt hatte, indem er von der linken Fahrspur der dreispurigen Autobahn auf die äußerst rechte Fahrspur gewechselt, vor dem Lkw des F eingeschert war und dort eine sehr starke Bremsung eingeleitet hatte. Aus der Aufzeichnung geht klar hervor, dass sich vor dem Fahrzeug des T auf der rechten Spur keine abbremsenden Fahrzeuge befanden, die T seinerseits Anlass für eine Bremsung hätten geben können. Ohne die Dashcam-Aufzeichnung hätte der Beweis der Unfallverursachung nicht geführt werden können. T macht daher geltend, dass die Dashcam-Aufzeichnung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts (hier: Recht am eigenen Bild) nicht verwertbar sei.
Lösung (R. Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 12. Aufl. 2018, Rn. 670): Geht es um die Frage nach der Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Aufzeichnungen einer im Frontbereich eines Fahrzeugs installierten Dashcam über einen Verkehrsunfall, ist entscheidend, dass es nicht um die Fertigung von Bildnissen geht, sondern um die Aufzeichnung eines Verkehrsgeschehens, bei dem lediglich die Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre betroffen ist. Das OLG Nürnberg hat im zu entscheidenden Fall die Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens für zulässig erachtet und damit als verwertbar angesehen, weil persönliche Daten der betroffenen Person allein in Bezug auf ihr konkretes Fahrverhalten auf einer öffentlichen Straße in einem Zeitraum von weniger als einer Minute festgehalten wurden, die Person als solche (aufgrund eines Weitwinkel-Objektivs) nicht erkennbar war, der geschädigten Person keine sonstigen Beweismittel zur Verfügung standen und ohne Berücksichtigung der Dashcam-Aufzeichnung eine der materiellen Gerechtigkeit widersprechende, falsche gerichtliche Entscheidung hätte getroffen werden müssen. Diese Entscheidung stellt einen Schritt in die richtige Richtung dar, lässt jedoch die Frage unbeantwortet, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn z.B. das Aufnahmegerät eine längere Zeitspanne aufgezeichnet hätte (z.B. die letzten 3 Minuten vor dem Unfall) oder der Unfallverursacher erkennbar gewesen wäre. Die Erkennbarkeit des Unfallverursachers ist zwar nicht für die Kfz-Halterhaftung nach § 7 I StVG erforderlich, sie könnte aber erforderlich sein, um bei einem Personen- oder bedeutenden Sachschaden die Strafbarkeit (z.B. aus §§ 222, 229, 315c, 315d StGB) nachzuweisen. Verallgemeinerte man also die Argumentation des OLG Nürnberg, könnte man den Schluss ziehen, dass eine Dashcam-Aufzeichnung unverwertbar wäre, wenn sie den Unfallverursacher klar und deutlich zeigte. Das wäre nach der hier vertretenen Auffassung nicht überzeugend, gerade wenn es auf die Feststellung der Identität des Unfallverursachers ankommt. Nach dem hier vertretenen Ansatz sind Dashcam-Aufzeichnungen auch dann verwertbar, wenn durch sie die Person des Unfallverursachers identifizierbar ist. Der mit der Aufzeichnung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht betrifft lediglich die Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre bzw. den Randbereich des Grundrechts und ist daher durch berechtigte Interessen des Geschädigten (bzw. der Allgemeinheit) bereits dann gerechtfertigt, wenn anderenfalls eine Aufklärung des Unfallhergangs bzw. einer Straftat unmöglich oder unzumutbar erschwert würde. Ist danach die Beweiserhebung rechtmäßig, kommt es auf die Frage der Verwertbarkeit nicht an. Die die Zulässigkeit der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume (und damit erst recht des öffentlichen Straßenverkehrs) regelnde einfachgesetzliche Bestimmung des § 4 I S. 1 Nr. 3, S. 2 BDSG ist entsprechend auslegbar und daher (jedenfalls insoweit) verfassungskonform.
Gegen die weiter oben erwähnte Entscheidung des LG Magdeburg ist - wie gesagt - die Revision beim BGH anhängig unter dem Az. VI ZR 233/17. Überträgt man die Aussagen der "Hühnerstall-Entscheidung" und deren Entscheidungsgründe auf den Dashcam-Fall, dürfte das Interesse des Unfallgeschädigten höher wiegen als das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Die Entscheidung des BGH wird mit Spannung erwartet.