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5.5.2018: Zur Frage nach der Erstattung von Kosten für die Unterbringung eines verwilderten Hundes unter dem Aspekt der öffentlich-rechtlichen GoA 

BVerwG, Urteil v. 26.4.2018 – 3 C 24.16

Mit Urteil v. 26.4.2018 hat das BVerwG (3 C 24.16) entschieden, dass eine Gemeinde Kosten für die Unterbringung eines verwilderten Hundes im Tierheim nicht vom Landkreis erstattet verlangen kann. Ein verwilderter Hund ohne feststellbaren Besitzer unterliege dem Fundrecht. Er sei nicht als herrenlos zu behandeln, weil die Aufgabe des Eigentums durch Besitzaufgabe (Dereliktion, § 959 BGB) gegen das Verbot verstoße, ein in menschlicher Obhut gehaltenes Tier auszusetzen, um sich seiner zu entledigen (§ 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG). Eine Gemeinde, die einen solchen Hund an sich nehme und in einem Tierheim unterbringe, erfülle damit eine eigene Aufgabe als Fundbehörde und könne von einer anderen Behörde nicht den Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen. Ob das Urteil überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden.

Ausgangslage: Wie bei R. Schmidt, Schuldrecht Besonderer Teil II, 12. Aufl. 2018, Rn. 38 ff. erläutert, geht es bei der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) ganz allgemein darum, dass jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne dabei von ihm beauftragt oder sonst ihm gegenüber berechtigt zu sein (vgl. § 677 BGB). Ist die GoA berechtigt, stehen dem Geschäftsführer Ersatz seiner Aufwendungen zu (§ 683 BGB); anderenfalls ist der Geschäftsführer zum Schadensersatz verpflichtet (§ 678 BGB), kann aber Herausgabe desjenigen verlangen, was der Geschäftsherr durch die Geschäftsführung erlangt hat (§ 684 BGB). Berechtigt ist die GoA, wenn sie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht oder der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Pflicht dient (§ 683 BGB). Nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung sind die Regelungen der GoA auch im öffentlichen Recht anwendbar, sofern keine speziellen Vorschriften des öffentlichen Rechts (wie z.B. § 25 SGB XII, § 8 VwVfG oder die Regelungen über die Erstattung von Kosten und Auslagen nach den Gefahrenabwehrgeset-zen) greifen (vgl. etwa BGH NJW 2017, 397, 398; BVerwGE 80, 170, 172 f.; 48, 279, 285; 18, 429, 436; BVerwG NVwZ 2000, 433; BGHZ 156, 394, 398 ff.; BGH NVwZ 2008, 349 f.; NVwZ 2016, 870, 872; VGH Kassel NJW 2018, 964 ff.; Oechsler, JuS 2016, 215 ff.). Voraussetzung ist aber stets, dass ein öffentlich-rechtlicher Charakter der GoA besteht, was wiederum dann angenommen werden kann, wenn die vom Ge-schäftsführer wahrgenommene Aufgabe öffentlich-rechtlich ist (insoweit bestätigend BVerwG 26.4.2018 – 3 C 24.16). Darum ging es im vorliegenden Fall.

Dem Urteil des BVerwG lag folgender Sachverhalt zugrunde (abgewandelt, um die Probleme des Falls zu fokussieren): Auf dem Gebiet der Gemeinde G wurde ein verwilderter Hund aufgefunden. Das Landratsamt, das Tierschutzbehörde ist, lehnte es ab, den Hund unterzubringen. Darauf kündigte G an, das Tier selbst unterzubringen und die Kosten dem Landkreis L in Rechnung zu stellen. L lehnte es nachfolgend ab, G die Aufwendungen für den Transport und die Unterbringung des Hundes zu ersetzen, weil es sich um ein Fundtier gehandelt habe und somit kein Kostenerstattungsanspruch bestehe.

Lösung: Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch könnte §§ 683 S. 1, 670 BGB sein. Das aber setzt eine berechtigte GoA gem. § 677 BGB voraus. Der Fremdgeschäftsführungswille lässt sich auf § 967 BGB i.V.m. Art. 20a GG stützen. G handelte auch ohne Auftrag oder sonstige gegenüber L bestehende Berechtigung. Ob aber die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des L entspricht (vgl. § 683 S. 1 BGB), ist zweifelhaft. Dies kann jedoch dahinstehen, wenn die Geschäftsübernahme zumindest im objektiven Interesse von L gewesen ist und der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Pflicht des L (siehe §§ 683 S. 2, 679 BGB) gedient hat. Zweifellos gehört der Tierschutz allein schon wegen Art. 20a GG zum öffentlichen Interesse jeder staatlichen Stelle und damit auch des L. Allerdings ist die öffentlich-rechtliche Pflicht des L zur Unterbringung des Hundes zweifelhaft. Eine solche Pflicht bestünde nur dann, wenn eine gesetzliche Vorschrift sie anordnete. Handelte es sich bei dem Hund um eine „Fundsache“ und wäre L „Fundbehörde“, wäre er gem. § 967 BGB zur Unterbringung verpflichtet.

Der Hund müsste also zunächst eine „Fundsache“ sein. Bezüglich des Wortbestandteils „Sache“ ist zu beachten, dass Tiere wegen § 90a S. 1 BGB zwar keine Sachen sind, jedoch wegen § 90a S. 3 BGB die Vorschriften über Sachen entsprechend anwendbar sind. Der Begriff „Fund“ bezieht sich gem. § 965 I BGB nur auf verlorene Sachen. Dies sind Sachen, die besitzlos, aber nicht herrenlos sind (siehe nur Herrler, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, Vorbem vor § 965 Rn. 1). Besitzlos sind Sachen, über die keine von einem Sachherrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft besteht (siehe nur Herrler, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 960 Rn. 3), was sich nach der Verkehrsauffassung bemisst und für den vorliegenden Fall bejaht werden kann. Herrenlos sind Sachen, die in niemandes Eigentum stehen. Daher sind vorliegend die Eigentumsverhältnisse zu prüfen. Der Hund wurde offenbar ausgesetzt. Ausgesetzte Wildtiere werden herrenlos gem. § 960 III BGB. Bei Haustieren führt die Aussetzung aber nicht zur Begründung der Wildtiereigenschaft (Herrler, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 854 Rn. 2-4; zum Sachherrschaftswillen vgl. BGH NZM 2013, 204, 205). Die Herrenlosigkeit des ausgesetzten Hundes könnte sich jedoch aus § 959 BGB (Dereliktion: Eigentumsaufgabe durch Besitzaufgabe) ergeben.

Im Katzenfall (es ging um einen Anspruch gegen die Gemeinde auf Erstattung der Kosten für eine privat veranlasste Kastration freilebender Katzen, die von ausgesetzten Katzen abstammten) hat der VGH Kassel (NJW 2018, 964) entschieden, dass § 959 BGB vorliege. Insbesondere scheitere eine Dereliktion nicht an § 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG. Zwar sei es nach dieser Vorschrift verboten, ein in menschlicher Obhut gehaltenes Tier auszusetzen, um sich seiner zu entledigen, jedoch sei diese Vorschrift nicht als ein Dereliktionsverbot zu betrachten. Die Vorschrift wende sich nicht ausschließlich an den Eigentümer, weil auch eine andere Person ein Tier aussetzen könne, und schließe die Möglichkeit der Dereliktion nicht aus, da nur gewisse Verhaltensweisen im allgemeinen öffentlichen Ordnungsinteresse gewährleistet werden sollen, für die die Eigentumslage irrelevant sei. Der Eigentümer werde dadurch auch nicht unbilligerweise aus seiner Verantwortung entlassen, denn nach § 7 III des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung könnten ordnungsrechtliche Maßnahmen auch gegen den früheren Eigentümer einer herrenlosen Sache gerichtet werden, der das Eigentum an der Sache aufgegeben habe. Nach der gegenteiligen Ansicht würde sich das Eigentum an dem Muttertier auch an den Jungtieren und über Generationen hinweg an den Abkömmlingen der weiblichen Tiere fortsetzen. Ein derartiges Verständnis wäre bei verwilderten Katzenpopulationen nicht sachgerecht, denn die Eigentumsverhältnisse wären völlig unüberschaubar (VGH Kassel NJW 2018, 964, 965). Auf den vorliegenden Fall übertragen hieße das: Auch der verwilderte Hund wäre herrenlos gewesen mit der Folge, dass Ansprüche aus Fund, die über die GoA geltend gemacht werden könnten, ausscheiden.

Allerdings stellt das BVerwG zu Recht fest, dass ein verwilderter Hund ohne feststellbaren Besitzer nicht als herrenlos zu behandeln sei, weil eine Dereliktion sehr wohl an § 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG scheitere (BVerwG 26.4.2018 – 3 C 24.16).  Folgt man dem, wird ein Haustier durch Aussetzung daher zwar besitzlos, allerdings nicht herrenlos, sondern verbleibt im Eigentum des Eigentümers. Ansprüche aus Fund wären demnach nicht ausgeschlossen.

Für die Auffassung des BVerwG sprechen Tierschutzaspekte, die über Art. 20a GG Verfassungsrang haben. Wer ein Haustier aussetzt, bleibt Eigentümer und wird gem. §§ 953, 99 BGB auch Eigentümer der Abkömmlinge. Darin ist keine Unbilligkeit oder Unzumutbarkeit zu sehen, hat es der Eigentümer ja in der Hand, diese Folge durch Unterlassen der Aussetzung oder zumindest durch Vornahme einer vorherigen Kastration zu verhindern.

Zwischenergebnis: Ausgesetzte Haustiere verbleiben im Eigentum und unterliegen u.a. dem Fundrecht. Das gilt auch für einen verwilderten Hund ohne feststellbaren Besitzer.

Zu klären ist damit lediglich noch, ob L „Fundbehörde“ ist und damit gem. § 967 BGB zur Unterbringung verpflichtet war. Die zuständige Behörde i.S.d. §§ 965-967 und 973-976 BGB bestimmt sich nach Landesrecht. Der vom BVerwG entschiedene Fall trug sich in Sachsen zu. In Sachsen sind gem. § 2 I Sächsische Gemeindeordnung i.V.m. §§ 967, 90a BGB die Gemeinden für die Inobhutnahme von Fundtieren zuständig (in der Freien und Hansestadt Hamburg ist ein zentrales Fundbüro eingerichtet; zudem werden vom Eigentümer bzw. Verlierer Verwahrungsgebühren erhoben). Indem G den Hund an sich genommen und untergebracht hat, hat sie also eine eigene Aufgabe als Fundbehörde und keine Pflicht des L (siehe §§ 683 S. 2, 679 BGB) wahrgenommen. Ihre Aufwendungen hat sie daher selbst zu tragen.

Stellungnahme: Wie bereits zum Ausdruck gebracht, ist dem BVerwG vollumfänglich zuzustimmen. Ausgesetzte Haustiere werden mitunter zwar besitzlos, aber nicht herrenlos, da eine wirksame Dereliktion insoweit an § 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG scheitert. Es handelt sich bei ausgesetzten Haustieren, die entdeckt und in Besitz genommen werden, somit um "Fundsachen" i.S.d. §§ 965 ff. BGB. Gemäß § 966 BGB ist der Finder (zunächst) zur Verwahrung verpflichtet, er ist gem. § 967 BGB jedoch berechtigt und auf Anordnung der zuständigen Behörde verpflichtet, die Sache an die zuständige Behörde abzuliefern. Die zuständige Behörde i.S.d. §§ 965-967 und 973-976 BGB bestimmt sich wie oben ausgeführt nach Landesrecht, das in aller Regel die jeweiligen Gemeinden als zuständige Behörde benennt. Selbstverständlich haben auch die Fundbehörden – wie die Finder – eine Erhaltungspflicht (davon geht auch BVerwG 26.4.2018 – 3 C 5.16, 3 C 6.16, 3 C 7.16 aus), im Falle von Tieren also eine Versorgungs- bzw. Unterbringungspflicht, die den Anforderungen des TierSchG genügen muss. Daher war die Entscheidung, dass die Gemeinde selbst die Unterbringungskosten zu tragen hat und diese nicht auf den Landkreis abwälzen kann, korrekt. Sollte sich der derelinquierende Eigentümer ermitteln lassen (was für den Fall, dass der Hund mit einem Transponder versehen ist, sehr wahrscheinlich ist), ist zu prüfen, ob ein Verwahrungskostenanspruch nach öffentlich-rechtlichem Gebührenrecht besteht. 

Ergebnis: G hat gegen L keinen Aufwendungsersatzanspruch aus öffentlich-rechtlicher GoA gem. §§ 683 S. 1, 670 BGB.

R. Schmidt (5.5.2018)





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